Von der Teilprivatisierung der Rente zu Öffentlich-Privaten Partnerschaften
15. Februar 2018 | Patrick Schreiner
Riester-Renten, Lebensversicherungen, Infrastruktur und Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) scheinen nichts miteinander zu tun zu haben. Tatsächlich aber werden letztere genutzt, um kapitalmarktbasierte Altersvorsorge-Modelle zu stützen.
CDU-Bundeskanzler Konrad Adenauer reformierte die staatliche Rentenversicherung 1957 grundlegend: Erstens sollten die Renten nun nicht mehr nur ein minimales Alterseinkommen garantieren, sondern den Lebensstandard sichern. Dazu wurden sie an die Entwicklung der Löhne gekoppelt. Dies stellte zugleich sicher, dass auch Rentner/innen von allgemeinen Wohlstandsgewinnen profitierten. Zweitens wurde auf das »Umlageverfahren« umgestellt. Damit finanzierten sich die Renten fortan unmittelbar aus den Beiträgen der Versicherten, die durch diese Beitragszahlungen wiederum eigene Rentenansprüche erwarben (»Generationenvertrag«). Das Umlageverfahren war auch eine Lehre daraus, dass am Kapitalmarkt angelegte Altersvorsorge-Gelder zuvor mehrfach durch Krisen vernichtet worden waren. Die solidarische Gesetzliche Rentenversicherung wurde zum zentralen Altersvorsorgeinstrument für viele Millionen Menschen.
Ab den 1990er Jahren bestimmte allerdings zunehmend Panikmache die rentenpolitischen Debatten. Der demografische Wandel sorge dafür, dass es immer weniger Menschen im arbeitsfähigen Alter gebe, während die Zahl der Rentnerinnen und Rentner ansteige. Dies mache das Umlageverfahren unbezahlbar. Die Alten würden den Jungen zur Last. Als zentrales Problem galten dabei die »Lohnnebenkosten«: Für die Arbeitgeber, die die Hälfte der Rentenversicherungsbeiträge finanzieren, seien sie eine zu große Belastung. Dies benachteilige nicht zuletzt den »Standort Deutschland« im Rennen um Investitionen und Kapital. So geriet (auch) der Rentenbeitragssatz ins Visier der Politik. Von Lebensstandardsicherung und Armutsfestigkeit der Renten war kaum mehr die Rede.
Ihren Höhepunkt erreichte diese Diskussion ab der Jahrtausendwende. Es war zugleich die Zeit des neoliberalen Finanzmarkt-Hypes. Die Politik – seit 1998 war eine rot-grüne Bundesregierung unter SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder am Ruder – reagierte. Schon im Jahr 2000 nahm man bei der Erwerbsminderungsrente Leistungsverschlechterungen vor. Wer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten konnte, musste fortan empfindliche finanzielle Einbußen in Kauf nehmen – oder sich rechtzeitig zusätzlich privat absichern. Nicht zufällig machte die Versicherungswirtschaft in jener Zeit massiv Werbung für ihre privaten »Berufsunfähigkeitsversicherungen«. 2001 erfuhr die gesetzliche Rentenversicherung dann ihre größte Reform seit vielen Jahren und ihren größten Rückschritt überhaupt. Sozialminister Walter Riester senkte zum einen das Rentenniveau und die Renten, zum anderen machte er die private Altersvorsorge durch Zuschüsse attraktiver. 2007 hob eine Große Koalition unter CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre an, was faktisch eine weitere Rentenkürzung bedeutete (und damit indirekt teure private Vorsorge beförderte). 2016 beschloss wiederum eine Große Koalition zusätzliche kleinere Maßnahmen zur Stärkung privater und betrieblicher Renten.
Der jahrelange, teure Lobbyismus von Arbeitgebern und Finanzwirtschaft hatte sich ausgezahlt. Die Zeit, in der eine positive Lohnentwicklung in gleichem Umfang zu Rentenerhöhungen führte, ist seit den Riester-Reformen 2001 vorbei. Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte bleiben die Renten immer mehr hinter der Lohnentwicklung zurück, das Rentenniveau sinkt. Die Sicherung des Lebensstandards wird Geschichte, Altersarmut kehrt zurück.
Anzeichen dessen sind schon heute zu beobachten. Das Rentenniveau, das noch in den 1990er Jahren bei 53 Prozent und mehr lag, betrug 2015 nur noch 47,5 Prozent. Bis 2030 geht es voraussichtlich auf 43 Prozent und danach noch weiter zurück. Die Zahlbeträge bei der Altersrente sanken von 2000 bis 2016 in Westdeutschland von 775 Euro auf 756 Euro, in Ostdeutschland von 936 Euro auf 872 Euro. Die Zahlbeträge bei der Erwerbsminderungsrente sanken im gleichen Zeitraum in Westdeutschland von 785 Euro auf 647 Euro und in Ostdeutschland von 791 Euro auf 657 Euro (alle Zahlen inflationsbereinigt, Zugangsrenten, gerechnet in Preisen des Jahres 2010).
Solche Beträge sichern den Lebensstandard nicht mehr, und sie verhindern in immer weniger Fällen Altersarmut. Das war auch schon in den frühen 2000er Jahren absehbar, und es war wohl durchaus erwünscht. Um die niedrigeren gesetzlichen Renten auszugleichen, sollten Arbeitnehmer/innen nun selbst privat vorsorgen – faktisch eine Teilprivatisierung der Alterssicherung: Einerseits erhöhten Leistungskürzungen (insbesondere, aber keineswegs nur bei der Altersrente) den Druck zur privaten Vorsorge. Andererseits führte man mit »Riester« und »Rürup« staatliche Subventionierungen der privaten Altersvorsorge ein. Hinzu kommen weitere, nicht geförderte Renten- und Lebensversicherungen sowie Betriebsrenten.
Riester-, Rürup- und Betriebsrenten sowie Renten- und Kapitallebensversicherungen haben eines gemeinsam: Sie sind kapitalmarktbasiert (mit ganz wenigen Ausnahmen bei den Betriebsrenten). Die Fonds und Versicherungskonzerne nehmen das Geld der Sparer/innen, um es möglichst renditeträchtig an Kapitalmärkten anzulegen. Genau dies führen die Befürworter/innen der privaten Altersvorsorgemodelle als deren Stärke an: Indem Altersvorsorgekapital angespart und in Realkapital und/oder in Ländern mit demografisch günstigerer Ausgangslage investiert werde, könne man dem demografischen Wandel ein Schnippchen schlagen. Denn Investitionen in Realkapital bzw. in demografisch günstigeren Ländern führten zu höheren Renditen und höheren Einkommen. So schrieb etwa der Ökonom Bert Rürup 2016, dass »[…] das Volkseinkommen […] größer werden« könne, »wenn mehr gespart« werde. Und sein Kollege Axel Börsch-Supan formulierte 2003 mit Blick auf den demografischen Wandel:
»Zusätzlich wird das zwar konsumentenreiche, aber dann arbeitskräftearme Deutschland zunehmend Produkte importieren müssen, um den inländischen Konsumbedarf zu befriedigen. Dafür werden deutsche Anleger mehr denn je in kapitalarmen, aber jungen und arbeitskräftereichen Ländern investieren, in denen die Kapitalrenditen höher sind als im Inland.«
Diese Argumente können allerdings aus vielerlei Gründen nicht überzeugen: So braucht es volkswirtschaftlich schlicht keine Ersparnisse, um investieren zu können. Auch lässt sich Altersvorsorgekapital keineswegs beliebig und risikolos in demografisch günstigeren Ländern anlegen (die ja überwiegend Nicht-EU-Länder sind). Hinzu kommt, dass die Deutschen seit den Rentenreformen nicht mehr, sondern weniger sparen als davor (was aus ökonomischen Gründen durchaus erfreulich ist). Die erhofften Wirkungen der Rentenreformen sind also schlicht nicht eingetreten. Dies gilt nicht zuletzt auch mit Blick auf die Unternehmensinvestitionen: Sie sind – anders als prognostiziert – seit damals äußerst schwach.
Den genannten Argumenten für kapitalmarktbasierte Altersvorsorgemodelle widersprechen aber auch und vor allem die Anlagestrategien der Versicherungen und Fonds: Diese investieren einen guten Teil der Altersvorsorgegelder nach wie vor direkt oder indirekt beim deutschen Staat und anderen EU-Ländern. Für Investitionen in Realkapital und in demografisch günstigeren Ländern gibt es daneben nur wenig Spielraum.
Staatliche Kreditaufnahme ist und bleibt damit für die Anlage von Altersvorsorgekapital von zentraler Bedeutung. Dass dies allen Begründungen der Renten-Teilprivatisierung fundamental widerspricht, scheint die politisch Handelnden nicht zu stören. Etwas anderes stört sie allerdings sehr: die niedrigen Renditen bei insbesondere deutschen Staatsanleihen. Entsprechend fordern interessierte Kreise nun offensiv politisch-staatliche Maßnahmen, um die privatisierten Altersvorsorgemodelle noch stärker zu stützen. Dabei verweisen sie immer wieder auch auf Öffentlich-Private Partnerschaften. Eine gängige Argumentation lautet in etwa: Der Staat habe (dank Schuldenbremse und Krise) eine marode Infrastruktur und brauche Geld. Die Versicherungen und Fonds wiederum haben Geld und suchen eine höhere Rendite. Beide Seiten sollen nun zusammengebracht werden. So war 2014 etwa in der FAZ zu lesen:
»[…] viele Staaten haben hohe Schulden. […] Auf der anderen Seite suchen Großanleger wie Versicherungen, Versorgungswerke, Pensionskassen und Family Offices händeringend zuverlässige langfristige Kapitalanlagen, deren Rendite über jener für Staatsanleihen aus Ländern mit einer sehr guten Bonität liegt.«
In genau diesem Sinne kündigte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso schon 2009 an:
»Aufgrund der […] Krise werden die öffentlichen Haushalte auf Jahre hinaus unter Druck stehen. Wir müssen daher kreativ sein, wenn es darum geht, finanzielle Mittel zu mobilisieren, um unsere Vorhaben in die Praxis umzusetzen. […] Die Kommission wird auch einen neuen Rahmen für Öffentlich-Private Partnerschaften schaffen, um mitzuhelfen, […] verschiedene Geldquellen zusammenzubringen und Investments zu maximieren.«
Auch die so genannte »Fratzscher-Kommission« sowie die 2017 beschlossene Privatisierungen von Bundesfernstraßen und Schulgebäuden folgen dieser Logik.
Zum Zusammenhang von Renten-Teilprivatisierung, Schuldenbremse und Öffentlich-Privaten Partnerschaften ist jüngst ein Buch erschienen, an dem der Autor mitgewirkt hat: ▸Kai Eicker-Wolf / Patrick Schreiner: Mit Tempo in die Privatisierung. Autobahnen, Schule, Rente – und was noch? PapyRossa 2017. | Dieser Artikel erschien in leicht abweichender Fassung zuerst in ▸Lunapark-Extra . Wir danken für die Genehmigung zur Zweitveröffentlichung.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.